Römische Rechtswahrheiten.
Ein Gedankenexperiment

Tomasz Giaro

Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 219
Frankfurt am Main: Klostermann 2007. XII, 768 S.

ISSN: 1610-6040
ISBN: 978-3-465-04027-9


Anhand von historischen Modellen anstelle ontologischer Kontinuitäten wird jenseits aller rechtsphilosophischen Spekulation die Leistungsfähigkeit des rechtsdogmatischen Wahrheitsbegriffs erörtert. Den Ausgangspunkt bildet die infolge der kodifikatorischen Rechtspositivierung 1848 von Kirchmann angestoßene Debatte über die Wissenschaftlichkeit der Rechtsdogmatik, der bald jene über die 1877 von Jhering in Frage gestellte Wahrheitsfähigkeit des Rechts folgte (Kap. I). Weil das Problem in der römischen Jurisprudenz der Prinzipatszeit wurzelt, wird im zweiten Schritt der von ihr vorausgesetzte antike Wahrheits- und Wissenschaftsbegriff rekonstruiert (Kap. II). Den Schwerpunkt der Arbeit stellt die Analyse des enormen Quellenfundus der römischen Jurisprudenz dar, der traditionell nur unter dogmengeschichtlichen und kaum unter theoretisch-historischen Gesichtspunkten ausgewertet worden ist. Zum Zweck der geltungs- und argumentationstheoretischen Auswertung wird im Zuge eines Gedankenexperiments angenommen, dass verum est überall in den römischen Rechtstexten als ‚wahr‘ zu verstehen sei (Kap. III–V). Es zeigt sich dabei, dass diese normative Wahrheit als Bilanzbezeichnung eines geglückten rechtsdogmatischen Urteils verwendet wird und jeweils aus einem Bündel von Werturteilen besteht. Die Verwendung dieses undifferenzierten Wahrheitsbegriffs schmälert die Leistungsfähigkeit der Rechtsdogmatik, die in differenzierten Kategorien wie Anwendbarkeit, Wirksamkeit und Geltung zu denken aufhört (Kap. VI).

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