Der morsche Baum.
Verkehrssicherheit und Fahrlässigkeit in der Rechtsprechung des Reichsgerichts
Frankfurt am Main: Klostermann 2010. XI, 311 S.
ISSN: 0931-6183
ISBN: 978-3-465-04088-0
Die Fallstudie führt zu Fundamenten des deutschen Haftungsrechts. Das Umstürzen eines morsch gewordenen Baumes stellte das deutsche Reichsgericht im Jahr 1902 vor die Frage, ob ein Baumeigentümer dem geschädigten Grundstücksnachbarn zum Ersatz verpflichtet ist. Das Reichsgericht beantwortete diese im BGB nicht ausdrücklich geregelte, auf der Schnittstelle zwischen Eigentumsfreiheit, Sozialbindung des Eigentums und Haftungsausgleich liegende Frage mit einer folgenreichen Begründung, die anmutet wie die Erfindung der Interessenjurisprudenz vor Philipp Heck.
Die Studie ergründet die methodischen Leitlinien und rechtspolitischen Motive des heute viel zitierten, aber wenig gelesenen Urteils. Die Überzeugungen jener Reichsgerichtsräte von richterlicher Freiheit und sozial gerechter Risikoverteilung bieten ein Beispiel dafür, wie Richter im Kaiserreich auf die Kodifikation des BGB reagierten. Ausgehend von dem Begründungskonzept der Reichsgerichtsräte wird die Entwicklung der Verkehrspflichthaftung im 20. Jahrhundert analysiert, die aus geltendrechtlicher Perspektive bisweilen als ausufernd und problematisch aufgefasst wird. Ein interdisziplinärer Erklärungsansatz beleuchtet die Bedeutung irrationaler Entscheidungsfindung im Bereich des richterlichen Fahrlässigkeitsurteils und zeigt, dass kognitions- und gedächtnispsychologische Erkenntnisse auch für die rechtshistorische Forschungsarbeit fruchtbar gemacht werden können.