Regulierung, Normativität und Organisation betrieblicher Sozialpolitik. Eine interregionale Untersuchung der deutschen Metallindustrie 1871-1932
Promotionsvorhaben
Die Organisationsebene des Betriebs stellt für die rechts- und sozialhistorische Forschung insofern ein erkenntnisreiches Untersuchungsfeld dar, als dass sich hier ein intensiver Verhandlungsraum für sozialpolitische Fragestellungen formierte, in dem Arbeits- und Sozialrecht auf unternehmerisches Produktionsinteresse und Anspruchsdenken traf. Dies gilt besonders für die betriebliche Sozialpolitik als Teilbereich einer allgemeinen Unternehmenspolitik, welche zwar durch die staatliche Sozialgesetzgebung Wandlungen unterworfen war, sich aber auch oft genug jenseits von gesetzlichen Vorgaben eigene Normen schuf. Im Forschungsdiskurs lange Zeit mit der These des Unternehmenspaternalismus verbunden, waren betriebliche Sozialleistungen aber immer vor allem auch Teil eines Anwerbungs-, Anreiz- und Bindungssystems und somit auch der gesamtbetrieblichen Unternehmensstrategie. Vor diesem Hintergrund stellt sich besonders die Frage nach der Struktur und dem normativen Regelwerk betrieblicher Sozialeinrichtungen abhängig von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und dem Arbeitsmarkt, aber auch von regionalen Standortfaktoren, Betriebsgröße und Unternehmensstruktur.
Die im Mai 2021 begonnene Arbeit an der Dissertation findet im Rahmen des Forschungsprojektes „Nichtstaatliches Recht der Wirtschaft“ statt. Sie soll daher an das Projekt anknüpfen und von den Vorteilen des Aufbaus einer digitalen Quellendatenbank profitieren. Konkret geht es in der Arbeit darum, das Spektrum sowie die mögliche Diversität von Partizipations- und Aushandlungsnormen der betrieblichen Sozialpolitik in der deutschen Metallindustrie zu ergründen und betriebsinterne Regulierungen nachzuvollziehen. Dabei wird bewusst ein breiterer Ansatz der Untersuchung von Betrieben in verschiedenen deutschen Industrieregionen – angelehnt an die Untersuchungsräume des Gesamtprojektes – gewählt, um einen Schritt weg von den Einzeluntersuchungen der in der Forschungsliteratur gut untersuchten Branchenführern zu machen. Im Fokus sollen Unternehmen „zweiter Reihe“, also vorzugsweise mittelständische Betriebe aber auch kleinere, weniger prominente zeitgenössische Großbetriebe stehen. Damit soll ein bislang noch nicht so umfassend betrachteter Ausschnitt der metallindustriellen Branche untersucht werden, bei dem dennoch zu erwarten ist, dass er gewisse Sozialausgaben für seine Belegschaften zu leisten vermochte.
Welche Akteure waren am Konstituierungsprozess der betrieblichen Sozialpolitik beteiligt? Welchen Bedingungen, Voraussetzungen und Bedürfnissen unterlag die soziale Regulierung in mittleren Betrieben und in welchem Verhältnis stand sie zu staatlichen Vorgaben? Welche Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zu den großindustriellen Unternehmen lassen sich feststellen und sind vielleicht Hinweise darauf zu finden, dass die sozialpolitischen Spielregeln der Branchenführer als Vorbild für kleinere Betriebe dienten und eine gewisse Rezeption dieser stattfand? Ebenso geht es darum, mögliche regionale und von der Unternehmensform abhängige Unterschiede zu ergründen, welche sich auch durch Standortunterschiede zwischen Stadt, Industrieregion und ländlicherer Umgegend ergaben. Hierbei soll die große Anzahl der digitalisierten Quellen der Projektdatenbank von Nutzen sein. Durch den gewählten Untersuchungszeitrahmen vom Kaiserreich bis zu den letzten Jahren der Weimarer Republik soll zudem gewährleistet werden, dass Kontinuitäten, aber auch sozialgeschichtliche Normenbrüche abgebildet und so in einen größeren Zusammenhang gesetzt werden können.