Sonderordnungen
Normative Diversität im 19. und 20. Jahrhundert

Forschungsfeld

Die Rechtsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Ambivalenz aus. Auf der einen Seite war es die Zeit der großen Kodifikationen, die weitgehend von der Gleichheit der Rechtsadressaten ausgingen und weite Lebensbereiche umfassend und einheitlich regelten. Dieses auf Universalität zielende Recht repräsentierte – jedenfalls was die justizielle und rechtswissenschaftliche Aufmerksamkeit betraf – das Rechtssystem. Auf der anderen Seite machten sich weiterbestehende oder neue soziale Differenzen sowie die funktionale Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft durch immer neue Regelungsbedürfnisse für bestimmte Gruppen und Sonderlagen bemerkbar. Hinzu kamen Ausdifferenzierungszwänge, die sich aus dem umfassenderen Anspruch des Staates auf die Regulierung weiterer Regelungsbereiche ergaben, vor allem in der Sozial- und Wirtschaftspolitik, sowie dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt entspringende neue Regelungsbedürfnisse. Dies konnte in der Ausdifferenzierung des staatlichen Rechts selbst resultieren, aber auch in der Schaffung autonomer oder semi-autonomer rechtlicher Sonderordnungen.

Mit dieser Problemlage sind zahlreiche grundsätzliche Fragen der modernen Rechtsgeschichte verbunden: Welche Flexibilisierungsstrategien lassen sich im staatlichen Recht beobachten? Welche nichtstaatlichen Rechtsordnungen entwickelten sich? In welchem Maße verbanden sich partikulare religiöse, kulturelle, technische, sozialpolitische und ökonomische Rationalitäten mit dem Recht? Welche justiziellen Sonderordnungen entwickelten sich? Entstanden neue Konzepte von Recht und Rechtsgeltung? Im Forschungsfeld „Sonderordnungen“ sind Projekte versammelt, die dies am Beispiel bestimmter Sektoren oder Gruppen untersuchen oder sich der zeitgenössischen rechtswissenschaftlichen Reflektion des Problems widmen.

Projekte

Jüngere Publikationen

Collin, P.: Justizielle Vielfalt. Alternativen zur ordentlichen Gerichtsbarkeit im späten Kaiserreich und der Weimarer Republik. In: Vielfalt im Recht, S. 121 - 140 (Hg. Kuhli, M.; Schmidt, M.). Duncker & Humblot, Berlin (2022)
Bender, G.: Duale Autonomie. Zur Rechtsgeschichte des Arbeitsmarktregimes. Rechtsgeschichte - Legal History Rg 30, S. 148 - 159 (2022)
Collin, P.: Entscheidungswissen in Gerichten mit Laienbeteiligung – rechtshistorische Perspektiven. In: Wissen und Recht, S. 219 - 257 (Hg. Augsberg, I.; Schuppert, G. F.). Nomos, Baden-Baden (2022)
Ebbertz, M.; Spendrin, B.; Vesper, T.-N.; Wolf, J.: Neue Ansätze in der Arbeitsrechtsgeschichte. Ein digitales Quelleneditionsprojekt am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie. Rechtsgeschichte - Legal History Rg 30, S. 199 - 213 (2022)
Bender, G.: Inklusive Arbeitspolitik – Strukturen der kollektiven Arbeitsverfassung. In: Demokratie versuchen. Die Verfassung in der politischen Kultur der Weimarer Republik, S. 274 - 296 (Hg. Schumann, D.; Gusy, C.; Mühlhausen, W.). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen (2021)
Collin, P.: Mulitinormativität [Multinormativität] und administrative Logik – neue verwaltungshistorische Perspektiven. Administory 5 (2020) (1), S. 6 - 19 (2021)
Wolckenhaar, L.: Die knarrende Stimme des Korporatismus [Rezension von: Jonas Hagedorn, Oswald von Nell-Breuning SJ. Aufbrüche der katholischen Soziallehre in der Weimarer Republik, Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh 2018]. Rechtsgeschichte - Legal History Rg 28, S. 353 - 355 (2020)
Collin, P.: Selbstregulierung des Wettbewerbs. Konkurrenz und Kooperation von Sparkassen, Banken und Kreditgenossenschaften im frühen 20. Jahrhundert. Rechtsgeschichte - Legal History Rg 28, S. 215 - 230 (2020)
Wolf, J.: Der Bremer Vulkan in der Krise: Der Strukturwandel einer westdeutschen Werft in den 1970er und 1980er Jahren. In: Transformation als soziale Praxis: Mitteleuropa seit den 1970er Jahren, S. 39 - 51 (Hg. Hoffmann, D.; Brunnbauer, U.). Metropol, Berlin (2020)
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