Recht und Diversität in Río de la Plata-Argentinien (19.-20. Jahrhundert)

Forschungsprojekt

Eine Geschichte der Produktion von Subjektivitäten durch das argentinische Rechtssystem.

Das kontinentaleuropäische Rechtssystem der Moderne ist auf dem Gleichheitsgrundsatz aufgebaut. Dieser rechtspolitische Grundsatz verbreitete sich ab dem 18. Jahrhundert rapide in ganz Lateinamerika. Allerdings bedeutete die Forderung nach Gleichheit, die aus den neuen philosophisch-politischen Diskursen hervorging, keine radikale Abkehr von der langen Tradition des Rechtswissens des Derecho Indiano. Aus der Koexistenz und der Verflechtung des neuen Gleichheitsgrundsatzes in einer politisch-rechtlichen Ordnung, die von einem auf Statusunterschieden beruhenden Kasuismus bestimmt wurde, ergab sich eine besondere Art des Verständnisses des neuen Grundsatzes. Aus dieser Kombination unterschiedlicher Projekte und Traditionen entstand ein besonderes modernes Recht, das Gleichheit auf der Grundlage unterschiedlicher Kriterien dachte.

In diesem Rahmen zielt dieses Projekt darauf ab:

  • die Verdrehung des Gleichheitsgrundsatzes zu verstehen, um die soziale Governance während des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts in Río de la Plata-Argentinien zu gewährleisten. Zu diesem Zweck wird die Art und Weise analysiert, in der die Gleichheit aufgrund von Gerichtsurteilen, Sondergesetzen und Verfassungsauslegungen nicht allgemein, sondern im Besonderen aufgefasst wurde. Dies geschieht ausschließlich innerhalb jeder Gruppe, die durch das Recht konstruiert und anerkannt wurde.
  • Gleichzeitig versucht dieses Projekt, das Schema zu problematisieren, das die Verzerrungen dieses Prinzips als Kontinuität des alten Wissens darstellt. Wenn etwas zu beobachten ist, dann, dass der Einzug neuer, auf dem liberalen Diskurs basierender sozialer Kategorisierungen alternative Einteilungen zu denen des Ancien Régime hervorbrachte. Die Hypothese, der hier gefolgt wird, lautet, dass das moderne Recht in zweierlei Hinsicht funktionierte. Einerseits untergrub es die alten Identitäten der indigenen Völker, der Afroamerikaner usw. Andererseits schuf es eine neue soziale Differenzierung auf der Grundlage des juristisch-ökonomischen Diskurses zwischen Arbeitern, Bauern, Einwanderern, Gebildeten, Kriminellen, Landstreichern usw. 
  • Die Herausbildung dieser "neuen diversität" durch das Rechtssystem brachte wiederum ein besonderes kollektives Gedächtnis hervor. Das der symbolischen Ordnung, die ab dem 19. Jahrhundert eingeführt wurde, tributpflichtig war. 
    So wurde die argentinische Gesellschaft auf der juristisch-politischen Ebene daran gehindert, die Gruppen und Identitäten wiederzuentdecken, die durch die neue Repräsentation des Sozialen durch das Rechtssystem degradiert wurden. An dieser Stelle geht es darum, die soziologisch-rechtlichen Vorstellungen, die Argentinien umgeben, und ihre Rolle bei der Naturalisierung einer besonderen und neuartigen nicht-egalitären diversität zu analysieren. Zu diesem Zweck werden die besonderen Darstellungen untersucht, die die von Juristen produzierte Verfassungsgeschichte Argentiniens für die Lehre des Rechts bietet. 
  • Schließlich wird die Entstehung des modernen Verwaltungsrechts in Argentinien (20. Jahrhundert) untersucht. Dieser Rechtsbereich wird insbesondere als ein Instrument betrachtet, das zur Kristallisierung von Vorstellungen die im 19. Jahrhundert produziert wurden. So werden die korporatistischen Theorien der 1930er Jahre, die polizeiliche Ordnungsgewalt, die Sonderordnungen für die rechtliche anerkannten Gruppen usw. als Verstärkung einer von den Juristen konstruierten sozialen Repräsentation analysiert, die die Forderungen nach Anerkennung anderer Diversitäten ausschließt. 
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