Gonzalo Fernández de Oviedo

Forschungsprojekt

Er war das Vorbild Alexander von Humboldts, der ihn als „Plinius der Neuen Welt“ verehrte: Gonzalo Fernández de Oviedo (1478-1557). Chronist der Entdeckung Amerikas, Weltreisender, Naturforscher, Höfling, Romancier, Übersetzer, Künstler, Unternehmer, Notar. Das lange, erfüllte Leben dieser Schlüsselfigur der Neuzeit ist ein einzigartiges Panoptikum des grundstürzenden Wandels, der sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vollzog.

Oviedo schrieb wie ein Besessener, verfasste unter anderem einen Ritterroman (von der Art, die Don Quijote so schätzte) und übersetzte Boccaccio ins Spanische. Die reifste Frucht dieses bewegten Lebens war jedoch die monumentale „Historia general y natural de las Indias“, eine der bedeutendsten Naturbeschreibungen der Weltliteratur, die noch immer nicht in deutscher Übersetzung vorliegt.

Der mit der Ars notaria bestens vertraute Chronisten befasste sich zeitlebens notgedrungen mit dem Verhältnis von Realität und Fiktion, von Wahrheit und Lüge. Sind es in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts, im vermeintlich „postfaktischen Zeitalter“ mit seinen „alternativen Wahrheiten“, Umbrüche in der Informations- und Kommunikationstechnologie, die zu Verwerfungen führen und aufklärerische Diskursideale in Frage stellen, waren in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts für epidemisches Misstrauen und Orientierungslosigkeit Faktoren verantwortlich, die den Kern des Oviedo’schen Oeuvres und Lebensentwurfes berühren: zum einen der beispiellose Autoritätsverlust, mit dem sich die Gralshüter des bis dahin weitgehend unangefochtenen antiken und christlichen Wissenskanons konfrontiert sahen (konnten sie doch beim besten Willen die Existenz des amerikanischen Kontinents nicht mit ihren „Wahrheiten“ in Einklang bringen); zum anderen die überbordende Vielfalt sich widersprechender Nachrichten aus der Neue Welt, die der europäischen Öffentlichkeit mit ihren über so großen Entfernungen unzulänglichen Instrumenten der Wahrheitsfindung die eigene Ohnmacht vor Augen führte. 

Das Projekt hat zum Gegenstand sowohl Oviedos Leben und Werk als auch dessen programmatisches Ringen um Wahrheit und Wirklichkeit. Ziel ist es zudem, neue Wege und Formen der Vermittlung  (rechts-)historischer und theoretischer Inhalte zu erschließen. Im Mittelpunkt stehen daher nicht die Monographie und der wissenschaftliche Aufsatz im konventionellen Sinne, sondern – wie auch in anderen Teilprojekten des Forschungsfelds „Transmedia HistoryTelling“ – narrative und graphisch-bildliche Zugänge. So lassen sich Oviedos eigene Ambitionen und Interessen spiegeln und beleben, denn der Spanier experimentierte regelmäßig mit Text-Bild-Arrangements und den verschiedensten literarischen Gattungen.

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