Die Geister, die er rief
Band 331 der Studien zur europäischen Rechtsgeschichte ist erschienen
Die Volksgeistidee prägte das vielfältige Schaffen Jacob Grimms (1785–1863) und war eine Grundkonstante seines Werkes – deutlicher noch als bei vielen Zeitgenossen wie Friedrich Carl von Savigny, bei dem Grimm in Marburg Jura studiert hatte. Karin Raude widmet sich in ihrer Untersuchung diesem im frühen 19. Jahrhundert wirkmächtigen Konzept anhand genauer Lektüre der Grimmschen Schriften und Briefe, zieht aber auch zahlreiche zeitgenössische Quellen heran. Sie belegt anschaulich, dass Grimms politische Vorstellungen, seine Geschichtsauffassung und sein Bild vom deutschen Recht eng mit seiner Überzeugung vom Vorhandensein eines schöpferischen, nationalen deutschen Volksgeistes verbunden waren.
Obwohl Grimm der juristischen Studien bald überdrüssig wurde, erschloss er für die Rechtsgeschichte zahlreiche neue Quellengattungen. Märchen, Sagen und Volkslieder waren für ihn ebenso aufschlussreich für den Zugang zu den Rechtsgewohnheiten der Vorzeit wie Weistümer. Grimm, der zeitlebens von der bei Savigny erlernten Methodik geprägt blieb, entwickelte gleichwohl eine eigenständige Volksgeistvorstellung, die Karin Raude – auch im Vergleich mit Ideen von Zeitgenossen wie Hegel, Schelling, Hugo oder Puchta – herausarbeitet. Die darin angelegte Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Recht(sgeschichte) erwies sich freilich als deutlich langlebiger als seine Volksgeistidee selbst. Deren Nachwirken in der juristischen Germanistik ebbte im frühen 20. Jahrhundert ab.