„Rechtsvergleichung als Erkenntnismethode“

Interview mit Heinz Mohnhaupt

7. April 2022

Heinz Mohnhaupts jüngst veröffentlichte Sammlung von Aufsätzen (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte) beschäftigt sich mit dem Vergleichen in rechtsgeschichtlicher Perspektive. Beiträge aus insgesamt drei Dekaden beleuchten die heute oft unbekannten historischen Dimensionen dieser Erkenntnismethode. Ausgehend von einer genauen Quellenlektüre untersucht er deren zentrale Probleme und Schlüsselautoren vom Spätmittelalter über die Zeiten des Naturrechts bis in die Epoche der Kodifikationsbewegung im 19. Jahrhundert.

Im Interview spricht der Autor darüber, wieso sich die Strategie der Vergleichung dazu eignet, über ansonsten isolierte Wissenschaftsfelder eine Übersicht zu gewinnen und so Möglichkeiten eines Dialogs zu erschließen. 

Herr Mohnhaupt, der Titel Ihres gerade erschienenen Bandes lautet „Rechtsvergleichung als Erkenntnismethode“. Worum geht es hierbei genau?

Heinz Mohnhaupt: Wie ich mit dem Untertitel „Historische Perspektiven“ ausdrücken will, geht es mir vor allem um die historische Dimension des Vergleichens. Sie bestimmt die außerjuristischen und juristischen Themen der einzelnen Beiträge, die auf die moderne Rechtsvergleichung hinführen und damit auch jeweils zeitgebundene „Erkenntnis“ historisch und aktuell in einen diachronen „Vergleich“ setzen: Was wurde wann, warum verglichen?  Im 17. /18. Jahrhundert bildete z.B. die vergleichende Anatomie ein Modell für Rechtsvergleichung.

Wissenschaftsgeschichtlich und erkenntnistheoretisch lässt sich heute ganz allgemein beobachten, dass es fast keine disziplinäre Fachrichtung in den Rechts-, Geistes- und Naturwissenschaften gibt, die sich nicht unter den Anspruch vergleichender Beobachtung stellt und den Zusatz „vergleichend“ in ihren Titel aufnimmt.

Mohnhaupt: Auch daraus lässt sich „lernen“, dass die Pluralisierung und Differenzierung der wissenschaftlichen Fächer und die zunehmende Untergliederung innerhalb eines Faches in Subdisziplinen die theoretische und praktische Arbeit erschwert. Mit der Strategie der Vergleichung kann und sollen die Übersicht über isolierte Wissenschaftsfelder wiedergewonnen und Möglichkeiten befruchtender Zusammenarbeit erkundet werden. Das gilt auch für die zahlreichen Spezialisierungen im Rahmen der Rechtswissenschaft insgesamt. 

Finden sich rechtshistorisch gesehen wiederkehrende Themen, die sich gewissermaßen „vor die Klammer ziehen lassen“.

Mohnhaupt: Die philosophischen und soziologischen Definitionen der „Vergleichung/Comparatio“ stimmen historisch und aktuell darin überein, dass die „Gegeneinanderhaltung“ (so Christian Thomasius, 1709) und Betrachtung zweier Objekte im Hinblick auf ihr gegenseitiges Verhältnis erfolgt, um Erkenntnis über „gleich, ähnlich, ungleich, verschieden“ usw. gewinnen zu können. Die allgemeinsten Vergleichungsbegriffe beruhen in der Regel auf „Einheitsvorstellungen“. Sie dokumentieren sich auf zwei Feldern: Ein Schwerpunkt historischer Rechtsvergleichung beruht auf der Ermittlung rechtlicher Unterschiede zum Zwecke ihrer Vereinheitlichung für eine bestmögliche Gesetzgebung und Wissenschaft; das betraf seit dem Spätmittealter vor allem die Möglichkeiten einer Harmonisierung des römisch-kanonischen Rechts mit dem heimischen Partikularrecht. Der Gleichheitsgedanke und aufklärerische Universalismus des Naturrechts im 18. Jahrhundert suchte das Recht in systematischen Kodifikationen zusammenzufassen. Das geschah auf vergleichender Grundlage sowohl für das Privatrecht als auch Verfassungsrecht im 18./19. Jahrhundert. Mit dem Vergleich der Staaten – „notitia rerum publicarum“ (17./18. Jahrhundert) – sollte das jeweilige Machtpotential („Interesse“) konkurrierender Staaten im Vergleich erkundet werden.

Welche neuen Perspektiven und Sichtachsen erlaubt die Methode der Rechtsvergleichung?

Mohnhaupt: Der rechtshistorische Befund, der im 15. bis 18./19. Jahrhundert mit seiner vergleichenden Arbeit über Recht und Staat in diesem Band aufgedeckt wird, gibt der heutigen Forschungsrichtung unseres Instituts eine zusätzliche theoretische und praktische Grundlage. Mit der heutigen Globalisierung und der Erweiterung des Forschungsrahmens unseres Instituts auf die Rechtstheorie hat sich automatisch auch die Sichtweise vergleichender Beobachtung des Rechts auf Gebiete jenseits herkömmlicher Landes- und Disziplingrenzen erweitert. Von den „Einheitsvorstellungen“ der Vergleichsintentionen in der Geschichte ausgehend, kann Vergleichung heute auch den Abstand der heutigen Welt zu Recht, Staat, Gesellschaft und Rechtskultur der Vormoderne messen.

Wissenschaftstheoretisch betrachtet: Ist Rechtsvergleichung eher Methode oder sogar eine eigene Disziplin?

Mohnhaupt: Die Antwort auf diese Frage hängt von der jeweiligen Fragestellung vergleichender Arbeit ab.  Eine gesicherte Methode bzw. Methodenlehre für die Rechtsvergleichung existiert bis heute nicht, weil Ziele und Stoff der Vergleichung verschiedener Rechtssysteme, einzelner Rechtsinstitute, nationaler oder regionaler Rechtsordnungen und Rechtskulturen zwischen Ermittlung von Gemeinsamkeiten oder Unterschieden zum Zwecke von Vereinheitlichung schwanken können. Die Vielzahl der Methoden-Diskussionen spiegeln diese Situation wider. Das ist ein historischer Befund und gilt letztlich auch für die Unentscheidbarkeit der Frage, ob Rechtsvergleichung eine eigenständige Disziplin darstellt. Disziplinär kann man die Rechtsvergleichung jedoch als Lehre vom Erkennen und Verstehen fremder Rechte und ihrer Funktionen ansehen. Kongresse, Lehrstühle und eigene Publikationsorgane unterstreichen diese Sicht.

Wo ist Rechtsvergleichung für aktuelle Fragen – etwa das Projekt „Europa“ – interessant?

Mohnhaupt: Rechtsvergleichung ist für jede Form von Rechtsvereinheitlichung unverzichtbar. Das gilt besonders für die aktuellen Bemühungen, auf einzelnen Rechtsfeldern der Europäischen Union einheitliches Recht zu erarbeiten. Dabei ist zu unterscheiden, ob sich der Vergleichsprozess für Vereinheitlichung angesichts unterschiedlicher Rechtskulturen und historischer Voraussetzungen besser durch vergleichende Interpretation, gesetzgeberische Anpassung oder Übertragung, Rechtsprechung oder Sprach- und Begriffsanalyse erzielen lässt. Der historische Erfahrungsschatz ist dafür unverzichtbare Voraussetzung.

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