Rechtsbildung im wirtschaftlichen "Weltverkehr".
Das Erdbeben von San Francisco und die internationale Standardisierung von Vertragsbedingungen (1871-1914)

Tilmann J. Röder

Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 206
Recht in der Industriellen Revolution 4
Frankfurt am Main: Klostermann 2006. XII, 397 S.

ISSN: 1610-6040
ISBN: 978-3-465-04000-2


Am Ende des 19. Jahrhunderts verstärkte sich mit der Internationalisierung der Wirtschaft die Tendenz zu Standardverträgen und -klauseln. Immer mehr Branchen verwendeten Allgemeine Vertragsbedingungen, deren Inhalt sie selbst bestimmen konnten. Wollten sie sich ganz vom staatlichen Recht ablösen, so vereinbarten die Parteien die Konfliktlösung durch Schiedsgerichte. Ein lebendiges Beispiel für diese Veränderungen bietet die Reaktion der Versicherungswirtschaft auf die Feuerkatastrophe von San Francisco nach dem Erdbeben vom 18. April 1906. Sofort entstand ein weltumspannender Diskurs über wirtschaftliche, technische und juristische Konsequenzen. Zugleich entwickelte eine kleine Gruppe einflussreicher Rückversicherer eine rigorose Freizeichnungsklausel für den weltweiten Gebrauch. Diese "Erdbebenklausel" übernahmen die Feuerversicherer in zahlreichen Regionen in ihre Formulare. Beispielhaft stehen Deutschland und Kalifornien zum Vergleich, wo die Erdbebenklausel eingeführt bzw. abgelehnt wurde, sowie Italien, wo die Problematik erst nach dem Untergang von Messina am 28. Dezember 1908 ernst genommen wurde. Am Ende der Untersuchung wird die juristische Qualität dieser neuartigen Phänomene als "lex mercatoria" erörtert. Eine globale, auf Selbstorganisation der Wirtschaft beruhende Veränderung des Rechts hatte es in diesem Ausmaß bis dahin nicht gegeben.

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