Die Entstehung zwingender Normen im Privatrecht
Forschungsprojekt
Zwingendes Privatrecht steht aus vielerlei Gründen im Zentrum des juristischen Interesses: Der Gesetzgeber bedient sich gerne zwingender Normen, um Regulierungsinteressen effektiv umzusetzen. Gerichte müssen zwingende Vorschriften von Amts wegen anwenden, weshalb sie gesteigerte Aufmerksamkeit bei der Rechtsanwendung erfordern. Für private Parteien ist es unerlässlich, den Bestand an zwingendem Privatrecht zu kennen, um wirksame schuldrechtliche Verträge oder andere Vereinbarungen schließen zu können. Seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches ist die Rechtspraxis zudem mit einer stetigen und beachtlichen Zunahme zwingenden Privatrechts konfrontiert. Nicht zuletzt durch die Europäisierung gilt dies gleichermaßen für die übrigen europäischen Rechtsordnungen. Aber nicht nur die Rechtspraxis sondern auch die Rechtstheorie hat ein gesteigertes Interesse an zwingendem Privatrecht, denn die Unterscheidung zwischen zwingenden und nichtzwingendem Recht markiert stets auch den Umfang individueller Freiheiten in einer Rechtsordnung, sodass sich hieran keine geringeren Debatten entzünden als solche um Umfang, Inhalt und Geltungsgrund der Privatautonomie.
Die Zunahme zwingenden Privatrechts in den letzten Jahrzehnten haben Wissenschaft und Praxis gleichermaßen mit teils heftiger Kritik am nationalen und europäischen Gesetzgeber begleitet. In der Literatur wurde prominent der „Abschied von der Privatautonomie“ verkündet und gefragt, wieviel von der einstigen Privatautonomie noch übrigbleibt. Im Gegensatz zum Gesetzgeber wurde die Rolle der Rechtsprechung bei der Erzeugung und Fortentwicklung zwingenden Privatrechts wenig beachtet, obwohl es oftmals der Rechtsprechung obliegt, über das Ob und Wie des zwingenden Charakters einer Norm zu entscheiden. Zwar wird das Richterrecht vielfach als Triebfeder der Rechtsentwicklung angesehen und es wird ihm bei der Entwicklung von Rechtsinstituten eine prominente Rolle zugeschrieben, die dogmatischen und methodischen Folgen der richterrechtlichen Erzeugung zwingenden Rechts bleiben jedoch ungeklärt. Aus historischer und rechtsvergleichender Sicht zielt das Forschungsprojekt nicht nur darauf ab, die Rechtmäßigkeit dieser Entwicklung zu hinterfragen, sondern insbesondere eine rechtsdogmatische und -methodische Aufarbeitung vorzunehmen. Methodisch steht eine empirische Rechtsprechungsanalyse zwingender Normen in unterschiedlichen privatrechtlichen Rechtsgebieten im Zentrum der Arbeit.
Durch seinen rechtsdogmatischen und -methodischen Zugriff bettet sich das Forschungsprojekt zum einen in das Forschungsfeld „Rechtsquellen und juristische Methoden“ ein. Zum anderen trägt es zum Erkenntnisinteresse des Forschungsfeldes „Privatrecht und Streitbeilegung in historischer‚ vergleichender und transnationaler Perspektive“ bei, welches sich unter anderem aus historischer Perspektive mit der Durchsetzbarkeit privater Rechte vor staatlichen Gerichten befasst. Durch den reflexiven Blick auf die Frage, wie privatrechtliche Normen durch den Prozess der Streitbeilegung selbst geformt werden, fügt das Forschungsprojekt diesem Forschungsfeld eine weitere Perspektive hinzu und untersucht diese Entwicklung des Privatrechts rechtsvergleichend bis in die Gegenwart hinein.