Der Beginn der Reichsgerichtsrechtsprechung in den Verfahren des publizistischen Landesverrats. Ein Beleg für die antirepublikanische Weimarer Justiz? / The Origin of the Reichsgericht's Definition of Journalistic Treason (publizistischer Landesverrat). Evidence of the Anti-Republican Weimar Judicary?

No. 2023-09

German Abstract: Der Beitrag befasst sich mit der Rechtsprechungspraxis des Reichsgerichts in den Verfahren des publizistischen Landesverrats und geht der Frage nach, inwiefern diese als Beleg für die antirepublikanische Weimarer Justiz zu werten ist.
Ausgehend von der historischen Analyse des Weltbühne-Prozesses 1931 gegen den späteren Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky in der untergehenden Weimarer Republik sind die Verfahren des publizistischen Landesverrats neben den Hochverratsprozessen häufig als exemplarischer Beweis der politisch voreingenommenen und antirepublikanischen Weimarer Justiz herangezogen worden. Dieses achronologische Vorgehen lässt jedoch sowohl die Ursprünge der reichsgerichtlichen Rechtsprechungspraxis als auch deren verschiedenen Entwicklungslinien im Zusammenspiel mit der wechselvollen deutschen Innen- und Außenpolitik der Weimarer Jahre außer Acht.
Der Beitrag analysiert die Urteilsbegründung gegen den Journalisten Walter Oehme und damit das erste Reichsgerichtsurteil zum publizistischen Landesverrat im Jahr 1923 vor dem historischen Hintergrund seiner Zeit. Die Urteilsbegründung gegen Oehme verdeutlicht die enge Verflechtung zwischen offizieller wie inoffizieller Regierungspolitik und der Rechtsprechungspraxis des Reichsgerichts im Krisenjahr der Ruhrbesetzung 1923. In dieser Hinsicht kann das Urteil gegen Oehme durchaus als politische Rechtsprechung verstanden werden, jedoch nicht gegen, sondern im Interesse der republikanischen Weimarer Regierung.

English Abstract: This article deals with the Reichsgericht’s prosecution for journalistic treason (publizistischer Landesverrat) and explores the question of whether its decisions should be considered as evidence of the anti-republican Weimar judiciary.
Starting backwards from the research of the so-called Weltbühne trial in 1931 against the later Nobel Peace Prize laureate Carl von Ossietzky during the decline of the Weimar Republic, the journalistic treason trials have often been taken alongside the high treason trials as exemplary proof of the anti-republican and politically biased Weimar judiciary. This achronological assessment ignores both the origins of the Reichsgericht's decisions and their various lines of development in the interplay with the changing German domestic and foreign policies of the Weimar years.
The article analyses the prosecution against the journalist Walter Oehme and the first Reichsgericht judgement on journalistic treason in 1923 against the historical background of its time. The reasons for the judgement against Oehme exemplify the close interaction between both official and also unofficial government policies and their impact on the Reichsgericht’s statutory interpretation in the crisis year of the Ruhr Occupation in 1923. The analysis demonstrates that the judgement against Oehme is to be understood as political jurisprudence, however not against but in the interest of the Weimar republican government.

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