Urteilen.
Elemente von Kants reflektierender Urteilskraft in Savignys Lehre von der juristischen Entscheidungs- und Regelfindung
Stephan Meder
Ius Commune Sonderheft 118
Savignyana 4
Frankfurt am Main: Klostermann 1999. Etwa 300 Seiten
ISSN: 0175-6532
ISBN: 3-465-03010-9
In seiner Jugendzeit hegt Savigny (1779-1861), von dem man sagt, er habe schon als Zwanzigjähriger "sein ganzes künftiges Leben gleichsam vorahnend festgelegt", den Wunsch, "ein Kant der Rechtsgelehrsamkeit zu werden". Aus dieser Zeit stammen auch die ersten Zeugnisse, denen sich entnehmen läßt, daß Savigny maßgeblichen Werken Kants, etwa dessen Moral- und Rechtslehre, ablehnend gegenüberstand. Ein Widerspruch?
Die auf Kant folgenden Generationen der Goethezeit und Frühromantik waren Kants apriorischen Gesetzgebungen vornehmlich distanziert, bisweilen sogar mit offener Zurückweisung begegnet. Dagegen haben sie Kants Lehre von der reflektierenden Urteilskraft mit großer Begeisterung aufgenommen. Man bemängelte allerdings, daß Kant den Anwendungsbereich der reflektierenden Urteilskraft auf die Ästhetik beschränkt wissen wollte. Daher haben namhafte Autoren um die Wende zum 19. Jahrhundert die Forderung nach einer Erweiterung der Lehre vom Reflexionsurteil auf Gebiete außerhalb der Ästhetik, etwa auf Moral oder Politik, erhoben. Mit Bezeichnungen wie "anschauende Urteilskraft" oder "intellectuale Anschauung" suchte man den interdisziplinären Charakter dieser Lehre zu erweisen.
Auch der junge Savigny hat in dieser Zeit zahlreiche Versuche unternommen, außerästhetische Probleme mit den Mitteln der Ästhetik zu behandeln. In der vorliegenden Studie soll nun gezeigt werden, daß Savignys methodologisches Denken vor dem geistesgeschichtlichen Hintergrund einer Epoche zu verstehen ist, die an Kant anknüpfte, um mit Kant über die Grenzen hinauszugehen, die dieser zwischen den einzelnen Gebieten seiner Kritik des menschlichen Wissens errichtet hatte.