Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Band II/3

Forschungsprojekt

Neben kleineren Einzelbeiträgen umfasst der Band vor allem die Darstellung der Verfassungsinstitutionen aller europäischen Staaten vom 16. bis 18. Jahrhundert, um die verfassungsrechtlichen Entstehungsbedingungen der im Handbuch primär nachgewiesenen Privatrechtsquellen (Gesetzgebung, Rechtsprechung und Privilegien) kenntlich zu machen.

Territorialhoheit und Rechtsquellen aller europäischen Territorien im 16. – 18. Jahrhundert

Der Band greift über den ursprünglichen Rahmen, die für die Produktion des Rechts maßgebenden Institutionen für Gesetzgebung und Rechtsprechung nachzuweisen, weit hinaus. Ausgangspunkt ist das Ius publicum/ Ius publicum universale aller europäischen territorialen Hoheitsträger im Ancien Régime, die heute oft mit beliebiger Begrifflichkeit im Sinne von Herrschern, Territorien, Ländern und „Staaten“ identifiziert werden. Das betrifft vor allem den Anteil von Herrschern und Ständen an der Rechtsproduktion, der oft vertragsähnliche Strukturen zugrunde liegen (votum consultativum; votum decisivum) und ein „pactsweises“ Zusammenspiel aufweisen. Positive Rechtsgrundlagen bilden europaweit die leges fundamentales als vorkonstitutionelle Grundlagen mit dem Anspruch rechtlich begründeter Machtlimitierung. Dementsprechend ist die Dauerfrage nach absolutistischer Hoheitsausübung in Europa sehr unterschiedlich zu beantworten. Absolutistische Herrschaftstheorie und -Praxis sind zu unterscheiden. Das betrifft auch Rechtsquellen-Theorie und Rechtsquellen-Praxis im Rahmen der potestas legislatoria und potestas iudiciaria und deren Produkte mit dem Anspruch einer vis legis. Die Vielzahl und Vielgestaltigkeit der Normen und vor allem deren schwankende Begrifflichkeit in der heimischen und gemeinrechtlichen Sprache sowie das unterschiedliches Rangverhältnis dieser Entscheidungsgrundlagen untereinander zeigen, dass die legislativen und jurisdiktionellen Rechtsquellen (letztere als praejudicata, precedents), die für die Entscheidung der Rechtskonflikte im Justizbereich zur Verfügung stehen und benutzt werden, ein höchst mobiles Rechtsquellensystem bilden. Dieses folgt oft europaweit römischrechtlicher Terminologie. Die Folge war die viel behandelte incertitudo iuris, die zur Kodifikation des Rechts in der Aufklärung führt.

Ein einheitlicher, gleichmäßiger Gliederungs- und Darstellungsrahmen bezweckt und ermöglicht eine vergleichende Betrachtung für alle behandelten 16 „Länder“, deren letztes jetzt in Arbeit ist.

Privilegien als Sonderrecht in der europäischen Rechtsgeschichte

Form und Inhalt der Gesetzgebung folgen dem Ideal der Gleichheit als lex generalis. Das Privileg dagegen individualisiert Recht für Einzelpersonen (privilegium speciale) und für definitionsfähige Personengruppen (privilegium generale); oder partikularisiert Recht für lokale und regionale Gebiete (privilegium particulare). Nach römischrechtlichem Vorbild werden diese privilegia unter die Gattung der iura singularia gezählt, die contra tenorem rationis propter aliquam utilitatem vom gesetzgebenden Herrscher gnadenweise erteilt werden (D 1.3.16.). Das Privilegium gehört zur Gattung der Gesetze als Ausfluss der potestas legislatoria. Ein Gerechtigkeitsideal wird in der Individualisierung des Rechts durch das privilegium gesehen. Es bildet die Ausnahme vom generellen Recht und gilt auch als Element von Einzelfallgerechtigkeit. Im Zeitalter der Aufklärung kollidiert es mit dem Gerechtigkeitswert der Gleichheit (égalité). Es delegitimiert den Ständestaat. Als flexibles Rechtsgestaltungsinstrument durchzieht das Privileg die gesamte Rechtsgeschichte auf allen Feldern gesetzesfreier Rechtsräume in Staat und Gesellschaft (Handelsrecht, Urheber- und Erfinderrecht etc.). Mit der Etablierung des Verfassungsstaates wird das Privileg an Normativbedingungen gebunden und mutiert zum Verwaltungsakt. Als unspezifischer Sozialstatus zeigt heute das Privileg seine gleichheitsfeindliche negative Konnotation. Der Forschungsbeitrag umfasst die wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung und Praxis dieses Rechtsinstituts in Gesamteuropa. Die Quellenbestände sind nach Territorien gegliedert; die Literatur ist nach Materien geordnet. Der Beitrag ist für Band II/3 des von H. Coing herausgegebenen „Handbuchs der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte“ bestimmt oder wird als Einzelpublikation erscheinen.

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