Hugolinusglossen im accursischen Apparat zum Digestum vetus

Horst Heinrich Jakobs

Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 307
Frankfurt am Main: Klostermann 2017. XIV, 460 S.

ISSN 1610-6040
ISBN 978-3-465-04329-4


In der Erforschung der Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter ist das Desiderat die Geschichte des Textes der Glossa ordinaria – des Buches, das – geschaffen in der 1. Hälfte des 13. Jh. von Accursius – wie kein anderes die Rezeption des römischen Rechts in Europa bestimmt hat. Welches waren die von Accursius benutzten Quellen und wie hat er von diesen Gebrauch gemacht? Wie viel hat er aus der Arbeit derjenigen, die ihm in der Bearbeitung der aus der Antike überlieferten Texte vorangegangen waren, rezipiert und was hat er dem von ihm Rezipierten von sich aus hinzu getan? Auf diese Fragen will das vorliegende Buch eine Antwort geben. Es geht in ihm darum, das von Savigny bei der Begründung der Wissenschaft vom römischen Recht im Mittelalter gefällte, vorläufige Urteil über die Qualität der Arbeit des Accursius aus den Quellen heraus zu revidieren; es soll hinsichtlich ‚il metodo seguito da Accursio nella selezione del materiale … nostra (noch in neuerer Zeit von Astuti konstatierte) pressoché completa ignoranza‘ reduziert werden.

Die Geschichte eines Textes ist nicht zu schreiben ohne eine Kenntnis seiner Quellen, und es bedarf, bei dem außerordentlichen Umfang des accursischen Apparats und der Schwierigkeit des Zugangs zu den nur handschriftlich überlieferten Quellen, die Arbeit der Beschränkung. Der Verfasser des vorliegenden Buches hat in früheren Arbeiten sich beschränkt auf das sog. Digestum vetus als das eine der beiden libri ordinarii des mittelalterlichen Rechtsunterrichts. Er hat in einzelnen zu diesem Buch gehörenden Textstücken festgestellt und zu zeigen unternommen eine dominante Abhängigkeit des accursischen Textes von demjenigen, was des Accursius Lehrer Azo in seinem Apparat zum Digestum vetus geschrieben hat. In der vorliegenden Arbeit geht es darum, diesen Befund zu erweitern und vor allem dadurch zu verfeinern, dass in die Prüfung einbezogen wird der Apparat, den zum Digestum vetus Hugolinus verfasst hat, der wie Azo der voraccursischen Generation angehört.

Eine Arbeit, die wie die vorliegende auf nur handschriftlich überlieferten Quellen basiert, hat unvermeidlich eine kodikologische Dimension. Sie muss die für sie relevanten Handschriften ermitteln, wenigstens ansatzweise beschreiben und bewerten. Sie gewährt so einen Einblick auch in das mittelalterliche Bücherwesen. Sie darf daher auch für sich in Anspruch nehmen, dass in ihr die Kenntnis der im Mittelalter zum Digestum vetus geschriebenen und in unserer Überlieferung noch vorhandenen Literatur um ein gutes Stück vorangebracht ist.

Inhalt

Vorwort | XIII

A Einleitung: Der Ansatz zu dieser Untersuchung und deren Quellen im Allgemeinen | 1

B Quellen: Die Quellen im Einzelnen und deren Interpretation| 21

I. Pactum a pactione dicitur – l. 1,1 | 21

II. Die Rückgabe der Schuldurkunde (cautio) im Vergleich mit der Rückgabe eines Pfands (A) und der Fall der cautio cancellata (B) | 29

A. l. 2 und 3 D 2,14 | 29
B. l. 24 D 22,3 | 35

III. Die Einbringung von Sachen in ein Miet-/Pachtgrundstück als Abschluss eines Verpfändungspactum – l. 4 | 43

I. Die gl. ord. zu item quia conventiones sowie zu illata | 43
II. Die gl. ord. zu mutus, huius rei, male petitur sowie zu nuptiis non secutis | 48

IV. Die Unterscheidung der Nominat- von den Innominatkontrakten und die Einrodnung des Tauschvertrags – l. 7,2 | 59

V. Ex nudo pacto actio non nascitur – l. 7,5 | 77

I. Vorbemerkung: Accursius’ substantiell eigener Anteil an der gl. ord. | 77

II. L. 7,5 Teil 1 der Litera | 79

1) Die azonisch/hugolinische Substanz der gll. ord. zu in bonae fidei iudiciis/ex continenti/ex parte /ex pacto | 80
2) Der 1. Teil der Glosse zu quin immo als Accursius’ Zutat zu der azonisch/hugolinischen Substanz der gl. ord. zu l. 7,5 | 87
3) Die ahistorische Qualität der accursischen Zutat zu der azonisch/hugolinischen Substanz der gl. ord. zu § 5 l. 7 – Teil 1 | 92

III. L. 7,5 – 2. Teil | 93

1) Die Exempel zur informatorischen Wirkung der pacta in continenti facta im Allgemeinen | 94 2) Das die Fälligkeit der Rückgabe eines dos betreffende Exempel im Besonderen | 99

a) Die Überlieferung des dos-Exempels im Hugolinusapparat | 99
b) Das die Fälligkeit der dos-Rückgabe betreffende Exempel bei Azo, Hugolinus und in der gl. ord. | 102

Exkurs | 115

VI. Der Erlass einer Nachlassschuld durch die maior pars creditorum l. 7,19 | 121

I. Die Sachfrage | 121
II. Die Quellen | 124
III. Interpretation | 125

1) Azo | 125
2) Hugolinus | 126
3) Accursius | 130

Exkurs | 137

VII. L. 10 – pr: Die Wirkung eines potenziell mehrere betreffenden Beschlusses für die bei der Beschlussfassung Abwesenden
§ 1: Die Wirkung einer Strafstipulation zur Sicherung eines pactum den non petendo | 139

I. Vorbemerkung zur Wiedergabe der Quellen | 139
II. Die Quellen | 141
III. Interpretation | 145

1) betr. Azo, Hugolinus und die gl. ord. zu l. 10 pr. | 145

a) Die in l. 10 pr. entschiedene Sachfrage | 145
b) Hugolinus und Azo | 147
c) Die gl. ord. | 152

2) Azo, Hugolinus und die gl. ord. zu l. 10 § 1 | 155

a) Die gll. (ord.) zu si pacto/ex stipulatu/utraque |155
b) Die gl. (ord.) zu ferre | 157

aa) Die gl. ord. zu ferre als ein Kompositum aus Azo und Hugolinus | 157
bb) Die dem 2. Teil der gl. ord. zu ferre zugrunde liegende Hugolinus-Glosse zu utatur in substantieller Hinsicht: Novation eines pactum de non petendo durch Strafstipulation? | 163
cc) Accursius als reiner Redaktor der Hugolinus-Glosse zu utatur | 171

VIII. Das pactum in personam conceptum und dessen Wirkung zugunsten Dritter – l. 17,5 | 179

I. Das contrarium l. 17,5 ./. l. 7,8 und dessen Auflösung bei Azo, Hugolinus und in der gl. ord. | 179
II. Das von dem Verkäufer mit demjenigen, der die Kaufsache für sich in Anspruch nimmt, geschlossene pactum und dessen Wirkung zugunsten des Käufers | 183

1) Die Quellen | 183
2) Interpretation | 185

a) Die Hugolinusglossen zu emptori prodest und validum als Accursius’ Zutaten zu der azonischen Glosse zu per donationem | 185
b) Accursius’ Zutaten zu Hugolinus’ Glossen zu emptori prodest und validum | 187

aa) Die beiden Hugolinusglossen in ihrem Verhältnis zueinander | 187
bb) Die Qualität der an den Hugolinusglossen von Accursius vorgenommenen Veränderungen | 191

c) Bartolus’ von der gl. ord. abhängige Exegese zu l. 17,5 | 198

Exkurs betr.:

I. Die Geschichte der Litera | 200
II. Die Textstufen im Apparat der gl. ord.  | 201

IX. Die Beschränkung eines Erlass-pactum auf den Schuldner einer durch Bürgschaft gesicherten Verbindlichkeit – l. 22 | 205

I. Die Problematik dieser Beschränkung im justinianischen Recht als der lex lata der Glosse | 205
II. Die Quellen | 207
III. Interpretation | 208

1) Die Erörterung der Problematik im Hugolinusapparat und die Mängel in dessen Überlieferung | 208
2) Die Erörterung der Problematik im azonischen Apparat und die Mängel in dessen Überlieferung | 211
3) Accursius’ Reaktion auf die Mängel in dem, was ihm bei Azo und Hugolinus vorgelegen hat | 215

X. Die Gleichschaltung des Erlass-pactum mit der Novation Solution, Litiskontestation und Akzeptilation in der aktiven Gesamtobligation – l. 27 pr. | 221

I. Die paulinisch-labeonische Logik in der l. 27 pr vorhandenen Aussage | 221
II. Die Quellen | 229
III. Interpretation | 234

1) Die Fortführung des azonischen Apparats in der gl. ord. | 234

a) Umformung | 234
b) Substantielle Erweiterung | 236

2) Die wirklichen und scheinbaren Unzulänglichkeiten des Hugolinus-Apparats | 239
3) Hugolinische Bedenklichkeit versus azonische Entschiedenheit | 249

XI. Die Aufhebung eines pactum de non petendo durch den contrarius actus eines pactum de petendo – l. 27,2 | 257

A. Die Glossen zu ipso iure und in pactis factum | 259

I. Die azonische Substanz der gl. ord. zu ipso iure | 260

1) Berichtigung des die gl. ord. zu ipso iure abschließenden Herkunfts-/Quellen-Vermerks | 260
2) Die Problematik der in l. 27,2 vorhandenen Aussage und deren Erörterung in Azos gl hic agebatur | 263
3) Die Fortschreibung und Ergänzung der azonischen gl hic agebatur in Azos auf l. 95,4 – Stichum § naturalis bezogener Solutionsglosse | 268
4) Die Vereinigung der azonischen gl hic agebatur mit Azos auf l. 95,4 bezogener Solutionsglosse in der gl. ord. zu ipso iure | 272

II. Die Provenienz der prima solutio der gl. ord. zu ipso iure aus dem Hugolinus-Apparat | 275

1) Das Rätselhafte der von den quidam vertretenen solutio des contrarium l. 27,2 ./. l. 95,4 | 275
2) Die solutio des contrarium l. 27,2 ./. 95,4 in der antigua glosa und im Apparat des Hugolinus | 277
3) Azos Darstellung der prima solutio als Replik auf eine im Hugolinus-Apparat vorhandene Ansicht | 285

III. Hugolinus in Azos Apparat zum Digestum vetus | 287

B. Die Glossen zu prosit: das contrarium l. 27,2 ./. l. 62 (D 2,14) | 291
C. Die Glossen zu posterius | 299
Anhang – Quellen

I. Azo, Hugolinus und die gl. ord. zu l. 27,2 D 14,2 | 306
II. Bulgarus zu l. 27,2 | 316
III. Azo, distinctio pactorum | 317

XII. Die Gleichschaltung des pactum de non petendo mit solutio, petitio und acceptilatio – §§ 6 und 7 l. 27 | 321

I. §§ 6 und 7 in Kontinuation der §§ 4 und 5 l. 27 D 2,14 vorhandenen Entscheidungen | 321
II. Die Quellen für die Erörterung der in §§ 6 und 7 verhandelten Sache | 331

1) Erläuterung zur Wiedergabe der Quellen | 331
2) Die Quellen | 335

III. Interpretation | 339

1) Die Bezogenheit des azonischen Apparats auf die antiqua glosa | 339
2) Die gl. ord. als ein mit accursischen Zutaten versehenes Kompositum aus Azo und Hugolinus | 356

a) Der Apparat zu § 6 | 356

aa) Die Glossen zu petitione und submoveri (Teil 1) | 356
bb) Die Glosse zu submoveri Teil 2: das contrarium I. 27,6 ./. l. 5 D 18,4 und dessen Auflösung | 357

b) Der Apparat zu § 7: die Glosse zu opponetur | 364

aa) Teilstück 1–4 | 365
bb) Teilstück 5 | 368
cc) Teilstück 6: das contrarium l. 27,7 ./. l. 13,4 D 46,4 | 370
dd) Teilstück 7: das contrarium l. 27,2 ./. l. 18 D 33,5 | 374

XIII. Die Klagbarkeit der Innominatkontrakte und das pactum ›Teilzahlung gegen Erlass der Restschuld‹ – l. 41 | 381

I. Die Problematik des in l. 41 überlieferten Papinianresponsum | 381
II. Die Quellen | 383

1) Irnerius | 383
2) Rogerius (?) | 384
3) Azo, Hugolinus und die gl. ord. | 386

III. Interpretation | 388

1) Die Rezeption der Hugolinus-Glosse in die gl. ord. | 388
2) Die Interpolationen des Hugolinustextes | 389

a) Die Form der Aussage betreffende Veränderungen | 389
b) Die Aussage in der Sache tangierende Veränderungen | 390
c) Die Eingriffe in die Substanz der Aussage | 396

aa) Die additio: secundum joannem | 397
bb) Die beiden die gl. ord. zu actionem non habet abschließenden additiones | 399
cc) Hugolinus’ und Accursius’ Reaktion auf die zwischen l. 41 D 2,14 und §§ 2 und 3 D 19,5,5 sowie C 2,4,6 vorhandende Disharmonie | 401

3) Das Fehlen der Harmonisierung von l. 41 mit §§ 2 und 3 D 19,5,5 und C 2,4,6 bei Hugolinus und Azo | 407

Exkurs:

zur Klagbarkeit der Innominatkontrakte im nachklassischen Recht | 410
I. Die neuere Lehre zur Klagbarkeit der Innominatkontrakte im klassischen Recht | 411
II. Aristo l. 7,2 D 2,14 gegen Celsus l. 16 D 12,4 | 413
III. Die »Legion von Hypothesen« zum Verständnis von l. 16 D 12,4 | 416

1) Kasers Hypothese und deren Konsequenz in textkritischer Hinsicht | 418
2) Aristos ›elegante‹ Antwort auf Celsus’ Frage | 420
3) L. 16 D 12,4 in der Glosse | 427

C Fazit:  Fazit: Accursius’ Leistung | 433

Benutzte Handschriften | 453

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