Die Römische Kurie und die Neue Welt in der Frühen Neuzeit

Forschungsprojekt

«Ista Romana Curia omnium aliarum forensium Curiarum mater, ac major totius Christiani Orbis merito dicenda est, longeque majora incomparabiliter peragit, ac decidit forensia negotia […] quam singula Tribunalia Urbis tractent, cum totius catholici Orbis causas ecclesiasticas, vel spirituales universaliter agat».
G. B. De Luca, Theatrum veritatis et iustitiae, 1669-1673

Die europäische Entdeckung Amerikas eröffnete ein grundlegend neues Kapitel in den Beziehungen zwischen Rom und der Welt. Im Lauf der Frühen Neuzeit entwickelten der Heilige Stuhl und die Leitungsgremien der Kirche, das heißt die Römische Kurie, die theoretischen und praktischen Instrumente, um diese Neuerungen in ihre Struktur zu integrieren und Amerika in ihren Handlungsradius einzuschließen.

Die Forschung hat sich der Frage nach den Kontakten zwischen dem Heiligen Stuhl und Amerika aus verschiedenen Blickwinkeln genähert und gezeigt, mit welcher Aufmerksamkeit man sich in Rom dem neuen Kontinent zuwandte. Bekannt sind die Untersuchungen der politisch-diplomatischen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den europäischen Königreichen im Hinblick auf die Organisation und Unterstützung der Kirche in Hispanoamerika, ebenfalls gut erforscht ist das Eingreifen der Päpste in die missionarischen Aktivitäten und die Glaubensverkündung. Darüber hinaus besitzen wir einige wichtige Studien zur Organisation und Entwicklung der lokalen Kirchen.

Im Gegensatz dazu nur wenig erforscht ist die juristische Sphäre, die Einführung der aus Europa stammenden normativen Ordnungen in den amerikanischen Gebieten und der komplexe Prozess ihrer Anpassung und Veränderung im Aufeinandertreffen mit den besonderen regionalen Gegebenheiten. Das gilt ebenso für das kanonische Recht, dessen Autorität auf dem neuen Kontinent niemals in Frage gestellt, dessen Form aber fortentwickelt und ergänzt wurde, bis schließlich ein eigenes kanonisches Recht für Spanisch-Amerika (derecho canónico indiano) entstand.

Im Rahmen der Forschungen, die am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte über das kanonische Recht in Iberoamerika unternommen werden, fokussiert das vorliegende Projekt auf die Aktivitäten der römischen Kurie bei der Einführung und Anpassung des kanonischen Rechts in Amerika und auf die Rezeption dieser Aktivitäten in den lokalen Kontexten. Die Annäherung an das Thema erfolgt aus zwei komplementären Blickwinkeln: Normproduktion und Ausübung von Gerichtsbarkeit.

Im Hinblick auf die Normproduktion manifestiert sich der römische Einfluss vor allem im Überwachen der Umsetzung der Beschlüsse des Konzils von Trient in den amerikanischen Diözesen mittels der recognitio von Provinzialkonzilien durch die Konzilskongregation. Die Arbeit dieses Amts wird auch unter Rückgriff auf lokal entstehende Studien zur Normproduktion in den Diözesen analysiert. Aufmerksamkeit verdient außerdem die konstante Produktion von Normen durch verschiedene römische Ämter, deren Beschlüsse, je nach Einzelfall, universale oder nur lokale Reichweite besaßen. Zu denken ist zum Beispiel an die Dekrete der verschiedenen römischen Kongregationen, die mit der Neuen Welt verknüpfte Themen diskutierten und deren Arbeit bislang nur in wenigen Studien zur amerikanischen Geschichte berücksichtigt wurde.

Die Römische Kurie blieb die höchste richterliche Instanz, an die sich alle Gläubigen, auch die Indigenen, wenden konnten, um Gerechtigkeit zu erlangen. Das römische Eingreifen in Amerika äußerte sich dementsprechend auch im administrativen und gerichtlichen Bereich, in Prozessurteilen wie in Gnadenakten oder der Erteilung von Privilegien und Dispensen. Nach dem Abschluss der ersten Phasen der Evangelisierung gewann das römische Eingreifen auch auf diesem Gebiet große Bedeutung und entwickelte sich in feingliedrigen Formen, weil es sich, ausgehend von der Normierung des täglichen Lebens der Ortskirchen, in einem empfindlichen Gleichgewicht zwischen der zentralen kirchlichen Jurisdiktion, den örtlichen Machthabern und den königlichen Privilegien und Vorrechten bewegte.

Der römische Einfluss lässt sich in verschiedenen Formen differenzieren, welche die komplexe Zusammensetzung der Römischen Kurie selbst widerspiegeln und von dem komplizierten jurisdiktionellen Geflecht ihrer Ämter zeugen: einige gingen auf alte Traditionen zurück, andere, so die Kardinalskongregationen, waren Neuschöpfungen. Die Römische Kurie erfuhr im 16. und 17. Jahrhundert eine Phase grundlegenden Wandels, die den substantiellen Reformen durch verschiedene Päpste geschuldet war: Reformen, welche die Arbeitsabläufe der Kurie von Grund auf veränderten und hitzige Diskussionen – innerhalb der Kurie oder mit den beteiligten staatlichen Stellen – über die Abgrenzung der Kompetenzen und Jurisdiktionen der römischen Institutionen in Amerika hervorriefen. Diese Jurisdiktion wurde in verschiedenen Formen ausgeübt: versandt wurden Dokumente mit Gültigkeit für ganz Amerika ebenso wie solche mit ausschließlich regionalem Anwendungsbereich, apostolische, an die Gesamtkirche gerichtete Konstitutionen ebenso wie Antworten auf von Institutionen der indianischen Kirchen vorgelegte Zweifelsfälle, Urteile in Klagen vor den römischen Gerichten oder Überweisungen von Fällen an bevollmächtigte Richter vor Ort, Gnadenerweisen und persönlichen Dispensen ebenso wie Bewilligungen dauerhafter Privilegien.

Aber welche waren die Gründe, die die amerikanischen Gläubigen, die Diözesen und die religiösen Orden dazu bewegten, sich an Rom zu wenden? Ist es möglich, Muster oder Merkmale eines Systems in der Inanspruchnahme des Heiligen Stuhls auszumachen? Welche Akteure, Personen oder Institutionen förderten und hielten die Kontakte zwischen den beiden Welten mit Blick auf die Instanzen der Gerichtsbarkeit aufrecht? Und schließlich: In welcher Form fügten sich der römische Einfluss oder die Anrufung der römischen Ämter in die lokalen Prozesse der Normproduktion und Rechtsprechung ein? Welches Gewicht hatten letztendlich die römischen Entscheidungen in der Neuen Welt?

Die Archive der verschiedenen römischen Ämter bewahren zahlreiche, zum Teil noch unedierte Dokumente, die Licht auf die angesprochenen Fragen werfen können. Diese Quellen lassen sich außerdem kontrastieren mit Dokumenten aus den lokalen amerikanischen Archiven, die ebenfalls reich an Zeugnissen der engen Beziehungen zwischen dem Zentrum der Christenheit und Amerika sind; so können Vorbilder aufgedeckt, Entwicklungsprozesse untersucht sowie Motive und Wirkungen der römischen Einflussnahme beurteilt werden.

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