Freiheit der Schifffahrt: Lokale Praktiken und die normative Struktur des Völkerrechts, seit dem 17. Jahrhundert

Promotionsprojekt

Sich auf See zu bewegen bedeutet, Schifffahrt zu praktizieren, und die Freiheit der Schifffahrt gilt als eine der ältesten und am besten etablierten – wenn auch nicht unumstrittenen – Normen des Völkerrechts. In der aktuellen Literatur werden ihre Entstehung und ihr Wandel häufig mit Hilfe von Top-down-Ansätzen erklärt, die beide entweder auf staatszentrierte Formen im Kampf um Hegemonie und/oder auf Globalisierungsprozesse kapitalistischer Logik im internationalen System zurückführen. Dies hat zwar zahlreiche wertvolle Forschungsarbeiten hervorgebracht, sie sind aber in der Regel mit entsprechenden blinden Flecken hinsichtlich lokaler Normativität und der Sensibilität gegenüber Kontingenzen behaftet. Die Freiheit der Schifffahrt wird jedoch in eben diesen lokalen Kontexten gedacht und vollzogen. Hier, im Lokalen, praktizieren Menschen nicht nur Normativität, sondern imaginieren und verändern diese auch.

Meinem Promotionsprojekt liegt die Annahme zugrunde, dass die Freiheit der Schifffahrt als Norm erst in jenem Moment entsteht, in dem sie lokal praktiziert wird. Ich distanziere mich daher von der Annahme, dass Normen unabhängig von Praxis als ideelle Aspekte internationaler Ordnung existierten. Um die Norm der Freiheit der Schifffahrt als Praxis untersuchen zu können, konzeptioniere ich meine Arbeit wie folgt:

Erstens wird die Freiheit der Schifffahrt als langfristiges und globales Phänomen mit Hilfe des heuristischen Instruments der ‘normativen Struktur’ analysierbar. Der Begriff ‘normativ’ soll dabei zum einen ein weites Verständnis von Recht ausdrücken, das sich von der nationalstaatlich zentrierten Form wegbewegt und andere Modi der Begegnung mit und Produktion von „positiv markierte Möglichkeiten“ (Christoph Möllers) einschließt. Andererseits soll der Begriff ‘Struktur’ zum Ausdruck bringen, dass die analysierte Normativität eine Historizität - und damit eine gewisse Stabilität - besitzt. Daraus folgt, dass die normative Struktur der Freiheit der Schifffahrt eine doppelte Qualität besitzt, denn heterogene Gruppen von Akteuren (Gemeinschaften der Praxis) sind an der Konstituierung der Schifffahrtsfreiheit beteiligt, werden aber ihrerseits auch von der Geschichte der Praktiken selbst beeinflusst – was sie zu glokalen Praktiken macht. Ausgehend von der Annahme, dass solch eine normative Struktur der Freiheit der Schifffahrt existiert, kann untersucht werden, wie sich Praktiken (Normativität) in Bezug auf dieses Handlungsfeld herausgebildet und verändert haben. Darüber hinaus ermöglicht dieser Ansatz, der auf dem Konzept historischer Normativitätsregime aufbaut, eine langfristige Perspektive, die verschiedene Orte einbeziehen und miteinander in Verbindung setzen kann.

Zweitens werden die empirischen Daten durch Fallstudien geliefert, die als Momentaufnahmen die normative Struktur sichtbar machen, in welcher die Gemeinschaften der Praxis einerseits eingebettet sind und an deren Konstruktion sie andererseits mitwirken. Diese Gemeinschaften sind nicht notwendigerweise als homogen und frei von internen Machtverhältnissen zu verstehen; sie umfassen z.B. Konstellationen von Juristen und Rechtsgelehrten, Diplomaten, Priestern, Kapitänen, Fischern, Königinnen sowie Verlegern, Politikern, politischen Aktivistinnen usw., die sich je nach Fall unterscheiden.

Die Methode, die schließlich zur Auswahl relevanter Gemeinschaften der Praxis für mein Promotionsprojekt führte, wird als ‘follow the conflict’ (Antje Wiener) bezeichnet. Dieser Zugang macht durch die Betrachtung historischer Konflikte um die Freiheit der Schifffahrt und deren Rückverfolgung bis auf konkrete maritime Vorfälle, die Entstehung und Veränderung von Praktiken in Bezug auf die Freiheit der Schifffahrt beobachtbar.

Die Quellen, die der Dissertation zugrunde liegen, sind angesichts der eingenommen Perspektive der longue durée sowie der unterschiedlichen beobachteten Gemeinschaften der Praxis, vielfältig. Dazu gehören unter anderem Gesetzesbücher, Abhandlungen, Logbücher, Tagebücher und persönliche Berichte.

Mit meinem Promotionsprojekt verfolge ich ein dreifaches Ziel: Erstens möchte ich die Geschichte des Seerechts ergänzen, indem ich die bisherige Forschung würdige, aber auch ihre Defizite anspreche. Dabei geht es vor allem um die Rolle, die Gemeinschaften der Praxis bei der Konstruktion der Freiheit der Schifffahrt als globalem Phänomen spielten. Zweitens entwickle ich zu diesem Zweck theoretische und methodische Werkzeuge für die Erforschung der Entstehung und Veränderung globaler Normativität. Da die Arbeit an der Schnittstelle zwischen den Disziplinen der historischen internationalen Beziehungen und der Völkerrechtsgeschichte angesiedelt ist, versucht sie drittens, die disziplinären Grenzen durch ein gemeinsames Verständnis von Normen als Praktiken zu überwinden.

Fallstudien:

Part I

  • The ‘Santa Catarina’ (1603): Producing Mare Liberum and Mare Clausum
  • The ‘Merlin’ (1671): A Matter of Honour and Fish
  • The ‘Dalawar’ (1735): Navigating Plague and Quarantine
  • The ‘Felice Adventurero’ (1788): Sailing in Disguise and Looking for Fortune

Part II

  • The ‘Gazelle’ (1864): Of Travels and Translations
  • The ‘Costa Rica Packet’ (1888): Technological Progress and the Cannon-Shot Rule
  • The ‘Mavis’ (1893): Claiming Mother of Pearl in Troubled Waters

Part III

  • The ‘Lusitania’ (1914): Humanity at Sea and a Plan to Outlaw Submarines
  • The ‘Andrea Doria’ (1956): Inventing Traffic Separation Schemes
  • The ‘Tampa’ (2001): The Duty and the Law
  • The ‘Borndiep’ (2009): Women on Waves
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